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LANDART
Geometrie mit Kopfweiden
Der holländische Bildhauer Lucien den Arend schuf
neben geometrischen Skulpturen auch landschaftsbezogene
Arbeiten im Stil der Landart, oft mit Kopfweiden,
die er in Kreisen, Spiralen und Rastern anordnet
und mit Farben markiert.
Von Marie-Luise BlatterLucien den Arend berichtete letzten Winter an
der ETH Zürich über seine Projekte, in einer Veranstaltung
der Professur für Landschaftsarchitektur. Damals
vereinbarten wir einen Besuch vor Ort, sobald das
erste Grün da sei. Und so trafen wir uns am 1. Mai
im Niederländischen Architekturinstitut in Rotterdam,
um Den Arends Arbeiten in der Stadt und in deren
näherer und weiterer Umgebung zu besuch! ! en.
Erste Station war der Marconiplein westlich vom
Rotterdamer Zentrum. An ihn grenzen drei berühmte
Siedlungen von J.J.P. Oud (1890-1963), Chefarchitekt
von Rotterdam ab 1918 und mit Piet Mondrian, Théo
van Doesburg und Gerrit Rietveld einer der Hauptvertreter
der De-Stijl-Bewegung: Eine ist die Siedlung Spangen
(1918-20), für die Van Doesburg die Farbgestaltung
von Innenräumen und bleiverglaste türfenster, Rietveld
die Möbel der Musterwohnung entwarf. Als bei einer
Billigsanierung die farbigen Glasfenster herausgerissen
wurden, hat Den Arend mehrere erworben. Weiter liegt
beim Marconiplein die Siedlung Tusschendijken (1921),
die teils zerstört ist, und die Siedlung Oud Mathenesse
(1923), die man 1985 abgerissen und mit kleinen
änderungen neu aufgebaut hat. Rekonstruiert wurde
auch das Gebäude der damaligen Bauleitung aus gestapelten
Kuben in Rot, Blau, Gelb, Weiss; also eine «neoplastische»
Architektur, ähnlich einem Bild von Mondrian. *
! !
In diesem Pionierquartier der geometrischen Moderne,
wo in jüngerer Zeit wenig Qualitätsvolles entstanden
ist - auch drei Hochhäuser von Skidmore, Owings
& Merrill stellen keine grosse Verbesserung dar
- liegt der weite, zugige Marconiplein. Hier sollte
Den Arend - der als ein Repräsentant der jüngeren
«Dutch Geometric Abstraction» gilt, eine Skulptur
schaffen, die ein Zentrum, einen Ruhepunkt bildet
im Chaos aus Bauten, Verkehrsflächen, Masten, Schildern,
Farben etc. Trotz der Grösse des Platzes gab es
übrigens kaum genug Raum für die Skulptur, denn
der durchgehende Deich, die Strassen, die Tram-und
Metro-Trassen und die vielen Leitungsschächte durften
nicht tangiert werden.
Aber das unmöglich Scheinende ist Den Arend gelungen
mit einer Skulptur, die den Arbeitstitel «Perpendicular
Planes» hatte und die er später mit Bezug auf den
Ort «Marconi Walls, Homage to Oud and van Doesburg»
taufte. Es sind drei weisse Beto! ! nquadrate mit
7,5 m Seitenlänge, die - je mit einer Ecke auf einem
Dreiecksfundament stehend - gegeneinander stürzen
bzw. sich gegenseitig stützen. «Die Skulptur ist
15 m breit, 9 m hoch, wiegt 84 t und kostete 1 Gulden/kg»,
so Den Arend, der noch lachend hinzufügt: «Ich mag
Zahlen.»
Von den labilen Quadraten fahren wir nach Barendrecht.
Hier hat Den Arend 1985 im neuen Wohnquartier Molenvliet
ein Landart-Projekt realisiert, das das Artifizielle
der Landschaft spielerisch durch Mathematik und
Geometrie noch potenziert. So liess er, wo ein nierenförmiges
Wasserreservoir vorgesehen war, einen 80 m x 50
m grossen See mit einer 30 m x 30 m grossen Insel
graben. Auf die Insel pflanzte er gitterförmig 16
x 16 Kopfweiden. Im Zentrum dieses Quadrats aus
256 Bäumen steht ein Kubus und darauf ist wie im
Kolophon eines alten Buches geschrieben, wer das
Werk ge-macht hat, wann und für wen.
«APOLLINISCH»
Das Projekt tr! ! ägt den Namen des Malers Pieter
Janszoon Saenredam (1597-1665), der, wie Den Arend
es formuliert, «eine apollinische, sehr kalkulierte,
wissenschaftliche Art zu arbeiten hatte. Seine Gemälde
von Kirchenräumen mit ihrer klaren, transparenten
Atmosphäre sind so exakt konstruiert, dass man verschwundene
Bauten danach neu bauen könnte.» Weil Den Arend
sich dieser rationalen Kunst geistesverwandt fühlt,
machte er diese homage an Saenredam, die er mit
einer Stiftung zur Erhaltung des Werks verband.
In der Satzung ist festgelegt, dass die Weiden alle
drei Jahre geschnitten und dass alle zwölfeinhalb
Jahre Stämme und äste weiss gekalkt werden müssen.
Das Weiss soll an das kühle Leuchten, die idealen
Helligkeiten in Saenredams Kirchen erinnern. An
Saenredams Geburtstag im Juni gibt es Veranstaltungen,
z. B. ein Ballett auf dem Wasser oder auf der Insel.
Derzeit plant ein israelischer Künstler eine Arbeit,
die er «Full Moon» nennt. ! ! Im Kunstwerk eines
andern etwas zu tun, ihm etwas hinzuzufügen, sei
ein altes Prinzip, sagt Den Arend. So fügten Maler
oft Figuren oder Blumen in das Werk eines Kollegen
ein. Den Arend erzählt weiter folgende Anekdote:
Die Arbeiter, die auf dem ehemaligen Rosenkohlfeld
den rechteckigen See mit Insel aushoben, verschoben
diese Insel ca. 10 m, weil ein Anlieger keine Kunst
hinter seinem Garten haben wollte.
Bei einem Projekt für Saenredam, der so exakt
arbeitete, habe er solche Veränderungen aber nicht
hinnehmen können, sagt Den Arend. Also wurde alles
doch an seinen exakten Platz gebracht und dabei
ein Teil der Insel neu aufgeschüttet. Und genau
dort wuchsen dickere Kopfweiden. Es sind aber nicht
etwa Bäume besserer Qualität, wie die Behörden vermuteten,
als sie den Unterschied konstatierten, sondern der
aufgeschüttete Boden ist fruchtbarer.
Kopfweiden waren früher in Holland sehr verbr!
! eitet. Aus ihren Zweigen wurden u. a. Matten geflochten,
die man in Verbindung mit importierten Steinen für
das schichtweise Bauen der Deiche brauchte. Heute
benutzt man dafür Kunststoffmatten und Betonsteine.
Und Kopfweiden gelten als Naturdenkmale und werden
von Naturschützern verteidigt, ge-pflanzt und geschnitten.
Eine solche Gruppe schneidet auch Den Arends Kopfweidengitter
in Barendrecht. Den Arend hat noch andere Projekte
mit Kopfweiden realisiert. Die Verwendung dieser
markanten Bäume wie auch das Kalken der Baumstämme
und äste entstammen Bildern aus seiner Kindheit.
Lucien den Arend wurde 1943 in Dordrecht geboren,
der Vater war Zigarrenhändler in Zwijndrecht, auf
der andern Seite der Oude Maas, und fuhr in einem
alten Chevrolet zum Einkaufen und Verkaufen über
die Dörfer von Brabant, mit Lucien im Fonds, der
auf einem Stapel Zigarrenkisten sass und die Landschaft
betrachtet: In Kurven und bei Gehöften waren ! !
die Baumstämme als Wegmarken oder zur Warnung weiss
gekalkt und Lucien sah damals, wie die einzelnen
Farbfelder je nach Geschwindigkeit und Blickwinkel
zu Bändern und Mustern verschmolzen. Als er neun
Jahre alt war, emigrierten die Eltern in die USA.
In Kalifornien besuchte er die Schulen und die Universität,
studierte Kunst und im Nebenfach Sprachen, auch
Russisch. Um dem Kriegsdienst in Vietnam zu entgehen,
kehrte er nach Holland zurück und arbeitete als
Primarlehrer, bis er sich als frei schaffender Künstler
etablieren konnte. Zeitweise unterrichtete er an
der Königlichen Akademie in Den Haag und an der
Rietveld-Akademie in Amsterdam. Er war auch Sekretär
des Rings holländischer Bildhauer und initiierte
und organisierte in dieser Funktion Ausstellungen,
so den «Beeldenpark Drechtoevers», einen Skulpturenpark
an der Oude Maas in Zwijndrecht, wo Künstler ihre
Werke vorübergehend oder auf Dauer ausstellen. Es
gelang ihm, 1996 zur Eröffnung Königin Beatrix zu
gewinnen. Derzeit ! ! stehen 30 Skulpturen dort.
1999 zeigten im Rahmen einer Ausstellung bulgarischer
Künstler in Dordrecht fünf Bildhauer im «Beeldenpark»
von Zwijndrecht ihre Werke; wieder kam die Königin
zur Eröffnung, diesmal mit dem bulgarischen Ex-König
Simeon II., der aber nicht allen in Dordrecht passte.
In Zwijndrecht zwischen alten Häusern hat Den
Arend in den 70er Jahren sein Atelier ge-baut, in
dem er auch zeitweise wohnte mit seiner finnischen
Frau, drei kleinen Kindern und zwei älteren Adopt---öchtern.
Heute lebt die Familie im Nachbarhaus und während
des Sommers in Finnland. Das Atelier aus Holz, und
Glas, mit ein paar Farbakzenten erlaubt derzeit
noch den Blick auf die Oude Maas und die Kirchtürme
von Dordrecht. Innen herrscht ein kreatives Chaos
aus Computern (Den Arend zeigt seine Arbeiten im
Internet: www.denarend.com), Materialien aller Art,
Skulpturen von Donald Judd, einem Wohnwagen, Kleidern
usw.; auf dem Dach steht! ! ein Glashaus mit Van-Doesburg-Fenstern.
ARCHITEKTONISCH
Von Den Arends Wohn- und Arbeitsort fahren wir
zur Dirksland-Brücke, Teil eines Environment-Designs
von 1984/89 für die Umfahrung von Dirksland und
Middelharnis, Ortschaften auf der Insel Goerree
in Südholland. Es ist eine Brücke, die wie eine
dünne Planke im rechten Winkel von Deich zu Deich
über einen Kanal führt, mit zwei Stütze beidseits
des Kanals. Neben diesen Stützen gibt es Wände,
die die Strasse bzw. den Weg am Kanal vor Überflutung
schützen. All diese Betonflächen sind sorgfältig
komponiert neben- und übereinandergesetzt und auch
farblich unterschieden. Das Rot, Gelb, Weiss, Blau
ist allerdings verschmutzt oder grünlich vom Flechtenbewuchs.
Und natürlich gibt es Sprayereien.
Zum Projekt gehören auch ein Baumkarree sowie
mehrere 100 m lange Pappelreihen, die nicht 'soldatisch
parallel zur Strasse laufen', sondern schräg im
Abstand von 24 m gepflanzt sind und von der Strasse
durchschnitten werde! ! n. Beim Fahren entsteht
ein Effekt, den Den Arend «flip over» nennt: Das
Springen von der Vorder- zur Rückseite der Baumreihen.
Der Einbezug von Künstlern, wie er damals praktiziert
wurde, sollte helfen, Alltagsbauten zu verbessern.
Dass Den Arends gelber Kubus für die Pumpstation
am Kanal nicht gebaut wurde und statt dessen eine
Art Bauernhaus aus Beton, ist für solche Projekte
eher typisch. Er berichtet auch von Arbeiten, die
dem Mehrverkehr oder dem Protest von Anwohnern weichen
mussten, auch von solchen, die er zurückbekam. Wer
Kunst im öffentlichen Raum macht, müsse robust sein.
Es gebe zwei gute Momente für den Künstler: Wenn
er den Auftrag bekommt und wenn er fertig ist und
das Foto macht. Dazwischen liege vor allem ärger
mit Behörden. Man merkt Den Arend aber an, dass
er diesen Streit auch oft lustvoll findet.
view the actual
article with illustrations
«Marconi-Walls, Homage to Oud and van Doesburg»,
Rotterdam, 1986. FOTOS LUCIEN DEN AREND
Element des Designs für die Umfahrungsstrasse
S 47 bei Dirksland, Südholland, 1984/89.
Gothic II, Noordpark, Oude Maas, 1981-96. Aus:
Katalog Beeldenpark Drechtoevers.
Lucien den Arends Atelier in Zwijndrecht.
FOTO MARIE-LUISE BLATTER
Pieter-Janszoom-Saenredam-Projekt, 1982-85, Barendrecht.
Rechteckige Wasserfläche mit Insel, darauf 256 Kopfweiden.
Diese werden regelmässig geschnitten, ihre Stämme
weiss gekalkt.
Kreis gekappter Bäume (Salix Alba) in Dordrecht
1972, gefällt 1978, später rekonstruiert.
«Dance macabre», 1988. Den Arend erzählt dazu,
dass Mondrian einst Tulpen weiss anmalte.
Projekt für Saenredam. Den Arend bewundert den
Maler, dies «Genie der Sachlichkeit».
LITERATUR
Ursula Poblotzki, Topos, European Landscape Magazine,
Lucien den Arend: Landscape as project. München
1993, Heft 3.
* Das Niederländi! ! sche Architekturinstitut
in Rotterdam zeigt bis 9.9. eine grosse Oud-Ausstellung.
Katalog, 608 S., in Englisch, 175 Gulden.
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